Es ist nicht grundsätzlich mutwillig, einen Antrag auf Umgangsregelung beim Familiengericht zu stellen, ohne zuvor die Beratung und Unterstützung durch das Jugendamt nachgesucht zu haben. Nur wenn nach den konkreten Umständen im Einzelfall aussichtsreiche Möglichkeiten einer vorgerichtlichen Verständigung bestanden, kann eine Mutwilligkeit darin gesehen werden, das Familiengericht direkt in Anspruch zu nehmen.
Erika Huber und Martin Scholz sind nicht verheiratet. Für ihre 2011 geborene Tochter Dora sind sie gemeinsam sorgeberechtigt. Das Kind hat seinen Lebensmittelpunkt bei der Mutter, darüber sind sich die Eltern auch einig.
Es gab zwar keine Vereinbarung eines regelmäßigen Umgangs, aber Martin Scholz hatte Kontakt zu seiner Tochter. Dazu verabredete er sich mit Erika Huber im Einzelfall. Im Oktober oder November 2015 kam es zwischen den Eltern zu Auseinandersetzungen. Erika Huber erklärte Doras Vater u. a. per SMS, er könne das Kind nur noch bei ihr in der Wohnung besuchen, sie werde ihm das Kind nicht mehr herausgeben. Hintergrund war eine Äußerung von Martin Scholz, die Doras Mutter als Entführungsdrohung wertete. Gesprächseinladungen des Jugendamts, die nach Angabe des Amts an Doras Vater übersandt wurden, will er nicht erhalten haben.
Martin Scholz beantragte am 4. November 2015 eine gerichtliche Umgangsregelung und die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe, ohne vorher die Vermittlung oder Beratung des Jugendamtes in Anspruch genommen zu haben. Das Familiengericht lehnte den Antrag ab. Scholz habe seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht hinreichend dargelegt und der Antrag sei mutwillig, da er nicht zunächst die kostenfreie Beratung und Vermittlung durch das Jugendamt in Anspruch genommen habe.
Doras Vater legte sofort Beschwerde beim Oberlandesgericht ein, reichte Unterlagen zu seinen Einkommensverhältnissen nach und machte geltend, sein Antrag auf Umgangsregelung sei nicht mutwillig gewesen. Angesichts der Drohung von Erika Huber, er könne sein Kind nur noch in deren Wohnung der Mutter sehen, habe er vielmehr gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen müssen. Wenn er vorher eine Beratungsstelle aufgesucht hätte, wäre die Unterbrechung des Umgangs mit seinem Kind nur noch länger geworden.
Am 17. Dezember 2015 schlossen Doras Eltern in der Sitzung des Familiengerichts eine Vereinbarung über den Umgang. Bei dem Vorwurf der Mutwilligkeit jedoch blieb das Gericht und bewilligte Martin Scholz weiterhin keine Verfahrenskostenhilfe.
Dagegen legte er Beschwerde beim Oberlandesgericht ein und bekam – was die Annahme der Mutwilligkeit betrifft – Recht. Eine obligatorische Einschaltung des Jugendamtes vor Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens sieht das Verfahrensrecht nicht vor, schreiben die Richter in ihrer Begründung. Auch gebe es nicht die generelle Erfahrung, dass die Vermittlungsbemühungen des Jugendamtes stets Aussicht auf Erfolg hätten. Gerade die von vielen Familiengerichten praktizierte Methode der frühen Intervention sei oft erfolgversprechend. Insofern sollte auch bedürftigen Rechtsuchenden zugestanden werden, sich nach eigenem Ermessen zwischen der außergerichtlichen Vermittlung und dem gerichtlichen Verfahren zu entscheiden.
Außerdem müsse nach den konkreten Umständen des Einzelfalls entschieden werden. Gerade das entschiedene „Nein“ von Doras Mutter, das Kind dem Vater unbeaufsichtigt zu überlassen, habe Martin Scholz dazu veranlasst, eine gerichtliche Regelung anzustreben. Dass Erika Huber allein auf ein weiteres außergerichtliches Bemühen hin oder durch Beratung des Jugendamtes von ihrer harten Haltung abrücken würde, war nicht naheliegend. Das Gericht berücksichtigte hier auch den möglichen Zeitverlust, der beim Scheitern vorgerichtlicher Bemühungen eintreten würde.
Jetzt muss das Familiengericht den Antrag auf Verfahrenskostenhilfe erneut entscheiden. Diesmal hat Martin Scholz gute Aussichten auf Erfolg.
Az 20 WF 209/15, Beschluss vom 7.1.2016
Verpflichtung des Jugendamtes zur Hilfestellung bei Umgangskontakten