Die Einkünfte des Unterhaltspflichtigen sinken wegen seiner Arbeitslosigkeit so weit ab, dass sich zeitweilig sein Einkommen nicht mehr von dem vollen Unterhalt nach den ehelichen Lebensverhältnissen des Unterhaltsberechtigten unterscheidet. Trotzdem unterbricht die vorübergehende Arbeitslosigkeit des Unterhaltspflichtigen nicht die „Unterhaltskette“ beim Aufstockungsunterhalt.
Gerda und Alfred Müller heirateten 1979 und bekamen zwei Söhne, die 1981 und 1984 geboren wurden. Die Ehe hielt acht Jahre, 1987 wurde sie rechtskräftig geschieden. Alfred Müller verpflichtete sich in einem Vergleich, an seine Ex-Frau Gerda, die damals nicht arbeitete, monatlich 1.080 DM (entspricht 552,20 Euro) zu zahlen. Gut zehn Jahre später wurde der Vergleich abgeändert, so dass Alfred Müller monatlich nur noch 685 DM (entspricht 350,23 Euro) zahlen musste. Damals, 1998, betreute Gerda Müller die beiden noch minderjährigen Kinder und arbeitete halbtags als Pflegekraft.
Ein paar Jahre später wollte Alfred Müller gar keinen Ehegattenunterhalt mehr zahlen und erhob deswegen 2005 eine Abänderungsklage. Zu dieser Zeit arbeitete Gerda Müller bereits wieder voll. Erst 2006 kam es zur mündlichen Verhandlung und 2007 wies das Amtsgericht die Klage ab, mit der Begründung, dass sich der ungedeckte Unterhaltsbedarf von Gerda Müller gegenüber den früheren Verhältnissen nur unwesentlich geändert habe. Außerdem könne der Aufstockungsunterhalt wegen der langen Ehe- und Kinderbetreuungszeit nicht befristet werden. Einen Befristungseinwand hätte Alfred Müller im übrigen im Erstverfahren geltend machen müssen. Dieses Urteil wurde rechtskräftig.
Alfred Müller bekam 2004 eine Stelle als Betriebsleiter bei einem Unternehmen in der Tschechischen Republik. Ende 2010 beendete er dieses Arbeitsverhältnis aus gesundheitlichen Gründen. Von Januar 2011 bis September 2012 bezog er Arbeitslosengeld I, anschließend von Oktober 2012 bis Dezember 2012 Grundsicherung für Arbeitssuchende. Seit Januar 2013 arbeitet er wieder als kaufmännischer Angestellter und verdient netto rund 2.650 Euro. Seine Ex-Frau Gerda arbeitet weiterhin voll als Pflegekraft und hat ein Nettoeinkommen von monatlich rund 1.850 Euro.
Bereits 2009 hatte Alfred Müller erneut auf Abänderung geklagt, ab dem 1. April 2009 wollte er keinen Unterhalt mehr zahlen. Das Amtsgericht gab diesmal der Klage teilweise statt. Es kürzte den Unterhalt zunächst vom 1. Januar 2011 bis 30. September 2012 auf monatlich 133 Euro, dann auf 94 Euro und vom 1. Oktober an sollte Alfred Müller gar keinen Unterhalt mehr schulden. Gerda Müller wollte dies nicht hinnehmen und legte Berufung beim Oberlandesgericht ein. Daraufhin wurde Alfred Müller wieder zur Zahlung eines unbefristeten Ehegattenunterhalts verpflichtet. Zunächst musste er monatlich 43 Euro für die Zeit seit Januar 2013 zahlen und 188 Euro seit Januar 2014. Denn solange das Einkommen des Unterhaltspflichtigen sich nicht nachhaltig verringere, bleibe der Anspruch auf Aufstockungsunterhalt bestehen. Alfred Müller aber erzielte bereits nach drei Monaten Durstrecke wieder ein Erwerbseinkommen in ausreichender Höhe.
Müller legte Revision gegen die OLG-Entscheidung beim Bundesgerichtshof ein, jedoch ohne Erfolg. Denn auch die Karlsruher Richter entschieden, dass die Unterhaltskette nicht unterbrochen wird, wenn das Einkommen des Unterhaltspflichtigen nur zeitweise unter das Einkommen der Unterhaltsberechtigten sinkt. Das war bei Alfred Müller von Oktober bis Dezember 2012 der Fall. Aber seit Januar 2013 hatte er ja wieder ausreichendes Einkommen. Also haben die Abänderungsklagen die Summen zwar angeglichen, aber nichts daran geändert, dass Alfred Müller auch 29 Jahre nach der Scheidung seiner Frau gegenüber unterhaltspflichtig bleibt.
Az XII ZR 6/15, Urteil vom 4.11.2015