Ein geschiedener Ehegatte muss eine angemessene Erwerbstätigkeit ausüben, wenn er Unterhalt verlangt. Dieser Obliegenheit genügt er nur, wenn er sich ausreichend um eine vollschichtige Tätigkeit bemüht. Ein Arbeitnehmer im mittleren Erwerbsalter hat auch in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit eine reale Beschäftigungschance und kann daher nicht von vornherein auf Bewerbungen verzichten.
Die geschiedenen Eheleute streiten sich über den nachehelichen Unterhalt. Die Eheleute trennten sich bereits 2005. Das Paar hat ein Kind, geboren 1998, das seit der Trennung der Eltern im Haushalt der Mutter lebt. Für das Kind zahlte der Mann einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 420 Euro. Zudem hat das Oberlandesgericht den Mann zur Zahlung eines monatlichen Trennungsunterhalts in Höhe von monatlich 528 Euro verpflichtet.
Der Mann ist als Bankkaufmann bei einem Geldinstitut beschäftigt. Die Frau ist gelernte Bäckereifachverkäuferin, übte den Beruf jedoch nur bis 1991 aus. Danach war sie ohne entsprechende Ausbildung zumeist in Teilzeit tätig. Ab Februar 1997 arbeitete sie bei einer Firma als Personaldisponenten-Assistentin. Diese Tätigkeit wurde wegen der Geburt ihres Kindes 1998 unterbrochen. Die anschließende Elternzeit dauerte bis Januar 2002. Die Frau nahm das Beschäftigungsverhältnis zwar wieder auf, wurde aber dauerhaft krankgeschrieben und im Mai 2003 gekündigt. Zum Zeitpunkt der Trennung 2005 war die Frau als selbständige Versicherungsmaklerin tätig. Nach vorübergehender Arbeitslosigkeit arbeitete sie befristet als Schwangerschaftsvertretung in Teilzeit als Verwaltungsangestellte, wurde dann wieder arbeitslos. Schließlich ist sie seit April 2012 als Bürokauffrau beschäftigt, mit einer Arbeitszeit von 25 Stunden wöchentlich. Um eine vollschichtige Stelle hat sie sich nicht mehr bemüht.
Ehefrau verlangte Unterhalt wegen Kinderbetreuung
Der Mann hatte sich darauf berufen, dass das gemeinsame Kind sich im wesentlichen bei Großmutter aufhalte, deshalb ein Betreuungsunterhalt nicht in Frage komme. Im übrigen könne die Frau sich aus eigenen Einkünften unterhalten. Sie habe sich nur nicht um eine neue Stelle bemüht. Die Frau hingegen beantragte, nach Rechtskraft der Scheidung einen monatlichen Unterhalt von 1.000 Euro, einschließlich eines (Alters-)Vorsorgeunterhalts von 200 Euro. Im übrigen sei ihr eine Vollzeittätigkeit nicht zumutbar. Das Kind habe Schwierigkeiten in der Schule, weswegen es eine intensive Betreuung durch sie, die Mutter, benötige. Wegen der Kindererziehung seien ihr letztendlich ehebedingte Nachteile entstanden. Ohne die Ehe bzw. die Geburt des Sohnes hätte sie bei andauernder beruflicher Fortentwicklung zuletzt ein Bruttoeinkommen mindestens als Personaldisponentin von etwa 2.700 € bis 3.000 € monatlich zzgl. weiterer Leistungen erzielen können.
Ende 2011 wurde das Paar vom Amtsgericht geschieden, der Versorgungsausgleich abgetrennt und der Antrag der Ehefrau auf nachehelichen Unterhalt abgewiesen. Dagegen legte sie Beschwerde ein. Die Entscheidung wurde aufgehoben und die Sache wurde erneut vor dem Amtsgericht verhandelt. Auch der zweite Beschluss ging zu Ungunsten der Frau aus, ihr Antrag auf Zahlung von nachehelichem Unterhalt wurde zurückgewiesen.
Ehefrau hat Erwerbsobliegenheit
Wieder legte die Frau Beschwerde ein und hatte diesmal vor dem Oberlandesgericht teilweise Erfolg. Der Mann muss ihr monatlich 844 Euro Unterhalt zahlen; jedoch keinen Betreuungsunterhalt, weil das Kind mittlerweile fast 16 Jahre alt ist, sondern Aufstockungsunterhalt. Danach kann ein geschiedener Ehegatte, wenn seine Einkünfte aus einer angemessenen Erwerbstätigkeit zum Unterhalt nach den ehelichen Lebensverhältnissen nicht ausreichen, den Unterschiedsbetrag zwischen seinen Einkünften und dem eheangemessenen Unterhalt verlangen. Bei der Berechnung des unterhaltsrelevanten Einkommens der Frau ist das Gericht nicht von der Summe von 850 Euro brutto ausgegangen, die sie tatsächlich verdient. Vielmehr haben die Richter ihr ein fiktives Einkommen zugerechnet, das bei 1.040 brutto Euro liegt. Die Frau habe sich nämlich nicht ausreichend bemüht, eine volle Stelle zu erlangen. Weder aus Alters- noch aus gesundheitlichen Gründen durfte sie davon absehen, vollzeitig tätig zu sein. Auch in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit sei es möglich, eine entsprechende Arbeitsstelle zu finden. So hat das Gericht eine Tätigkeit mit 40 Wochenarbeitsstunden als Bürokauffrau fingiert und ging dabei von einem Mindestlohn von 8,50 Euro aus.
Ehemann wollte Befristung des nachehelichen Unterhalts
Der Mann wollte nicht mehr zahlen und hatte beantragt, den Unterhalt zu befristen. Damit kam er aber nicht durch, weil das Gericht ehebedingte Nachteile für die Frau festgestellt hatte. Ohne die Schwangerschaft und die nachfolgend übernommene Kinderbetreuung hätte sie ihre berufliche Entwicklung im kaufmännischen Bereich fortgesetzt und damit heute ein deutlich höheres als das aktuell erzielte Einkommen erlangt. Das ist jetzt durch den Aufstockungsunterhalt auszugleichen.
Az 9 UF 159/13, Beschluss vom 7.8.2014