Die Corona-Impfung für Kinder ab fünf Jahren ist nunmehr in Deutschland möglich. Aber möchten dies immer beide Elternteile? Und wie ist damit umzugehen, wenn die Eltern während des Getrenntlebens oder nach einer Scheidung unterschiedlicher Auffassung sind?
In Deutschland leben rund 4,5 Millionen Kinder zwischen fünf und zwölf Jahren. Für diese wird es in wenigen Tagen einen Impfstoff gegen Covid-19 geben. Biontech hat seinen Impfstoff entsprechend angepasst. Die europäische Arzneimittelagentur Ema hat nach Auswertung aller Daten grünes Licht für die Impfung geben. Aber: der Chef der Ständigen Impfkommission (STIKO), Thomas Mertens, sagte zuletzt, dass er seine Kinder bzw. Enkel zunächst nicht impfen lassen würde.
Zwischenzeitlich hat die STIKO ihre Empfehlung abgegeben:
In Abwägung aller bisher vorhandenen Daten empfiehlt die STIKO die COVID-19-Impfung für Kinder im Alter von 5-11 Jahren mit verschiedenen Vorerkrankungen. Zusätzlich wird die Impfung Kindern empfohlen, in deren Umfeld sich Kontaktpersonen mit hohem Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf befinden, die selbst nicht oder nur unzureichend durch eine Impfung geschützt werden können (z. B. Hochbetagte sowie Immunsupprimierte). Darüber hinaus können auch 5- bis 11-jährige Kinder ohne Vorerkrankungen gegen COVID-19 nach entsprechender ärztlicher Aufklärung geimpft werden, sofern ein individueller Wunsch der Kinder und Eltern bzw. Sorgeberechtigten besteht.
Pressemitteilung der STIKO zur COVID-19-Impfempfehlung für Kinder im Alter von 5 bis 11 Jahren (9.12.2021)
Bevor die STIKO eine generelle Empfehlung für die Impfung aller Kinder dieser Altersgruppe gibt, will sie auf Daten aus den USA und Israel warten.
Unter diesen Voraussetzungen ist zu erwarten, dass getrennt lebende oder geschiedene Eltern durchaus unterschiedlicher Auffassung darüber sein können, ob das gemeinsame Kind nunmehr geimpft werden soll oder nicht.
Bei Streit über Kinder-Impfung entscheidet das Familiengericht
Wenn sich die Eltern nicht einigen können, ob ihr Kind geimpft werden soll, müssen sie sich an das Familiengericht wenden. Das Gericht entscheidet dann, welcher Elternteil die Frage der Impfung des Kindes entscheiden darf.
Die Oberlandesgerichte sind sich einig, dass die Entscheidung darüber, ob und in welchem Umfang ein Kind geimpft werden soll, keine Angelegenheit des täglichen Lebens (§ 1687 Abs. 1 Satz 2 BGB) betrifft. Sondern eine Angelegenheit, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist (§ 1628 BGB). Eben weil sie mit der Gefahr von Risiken und Komplikationen verbunden ist.
Entscheidungen in Angelegenheiten des täglichen Lebens sind in der Regel nur solche, die häufig vorkommen. Außerdem dürfen diese Entscheidungen keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben. Bei Impfungen handelt es sich bereits nicht um Entscheidungen, die häufig vorkommen. Denn hierfür ist auf jede einzelne Impfung gesondert abzustellen. Auch soweit die jeweilige Impfung eine oder mehrere Wiederholungen oder Auffrischungen erforderlich macht, ist die Entscheidung nur einheitlich zu treffen.
Die Entscheidung, ob das Kind während der Minderjährigkeit gegen eine bestimmte Impfung erhalten soll, regelmäßig nur einmal an. Zudem kann die Entscheidung schwer abzuändernde Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben. Dabei kann zunächst offenbleiben, ob die Infektionsrisiken im Fall der Nichtimpfung die Impfungsrisiken überwiegen oder umgekehrt. Die Bedeutung der Angelegenheit ist unabhängig von der jeweils ins Auge gefassten Entscheidungsalternative zu beurteilen (BGH, Beschluss vom 03. Mai 2017 – XII ZB 157/16).
Bei Uneinigkeit der Eltern über die Durchführung einer solchen Impfung überträgt das Familiengericht in der Regel die Entscheidungsbefugnis dem Elternteil, der die Impfung des Kindes entsprechend den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission beim Robert-Koch-Institut befürwortet, jedenfalls dann, wenn bei dem Kind keine besonderen Impfrisiken vorliegen.
Oberlandesgerichte übertragen die Entscheidung dem Elternteil, der der STIKO-Empfehlung folgen will
Hinsichtlich eines 16 Jahre alten Kindes hat das OLG Frankfurt bereits entschieden. Die Entscheidung über die Durchführung der Corona-Impfung mit einem mRNA-Impfstoff ist bei einer vorhandenen Empfehlung der Impfung durch die Ständige Impfkommission (STIKO) und bei einem die Impfung befürwortenden Kindeswillen auf denjenigen Elternteil zu übertragen, der die Impfung befürwortet. (OLG Frankfurt, Beschluss vom 17. August 2021 – 6 UF 120/21)
Auch das Argument eines Vaters, der Impfempfehlung der STIKO sei im Falle der Covid-19-Impfung nicht zu folgen, weil es sich nicht um eine langjährig bewährte Standardimpfung, sondern um einen völlig neuen Impfstoff handele, ließ das OLG München nicht gelten. Das Gericht ging davon aus, dass die Expertenkommission der STIKO auch und gerade bei der Covid-19-Impfung eine sehr sorgfältige Prüfung angestellt habe. (OLG München, Beschluss vom 18. Oktober 2021 – 26 UF 928/21)
Vor dem OLG Rostock hat eine Kindesmutter argumentiert, die Impfung habe für die Kinder nach Aussagen eines Impfarztes und ihrer Hausärztin keinen Nutzen. Hingegen sei das Risiko für die Kinder, an den Nebenwirkungen einer Impfung zu erkranken, sehr hoch. Das Oberlandesgericht folgte dieser Argumentation nicht. Vielmehr verwies es darauf, dass die Empfehlungen der STIKO in der Rechtsprechung als medizinischer Standard anerkannt werden. (OLG Rostock, Beschluss vom 10. Dezember 2021 – 10 UF 121/21)
Zusammenfassung
Eltern dürfen/müssen daher unter Berücksichtigung der 2017 getroffenen BGH-Entscheidung und der zitierten OLG-Entscheidungen davon ausgehen, dass die Gerichte auch bei Streit über die Impfung der Kinder im Alter von 5-11 Jahren den Elternteil die Entscheidungsbefugnis übertragen, der der aktuellen STIKO-Empfehlung folgen will.
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