Seit dem Inkrafttreten des Angehörigenentlastungsgesetzes können die Sozialhilfeträger Elternunterhaltsansprüche dann nicht mehr auf sich überleiten, wenn die unterhaltspflichtigen Kinder Bruttoeinkünfte von bis zu 100.000 € erzielen. Seither stellt sich für den Unterhaltsrechtler aber auch die Frage, wie hoch ist der unterhaltsrechtliche Selbstbehalt beim Elternunterhalt, wenn das Kind Einkünfte von mehr als 100.000 € brutto erzielt.
Einen solchen Fall haben wir nunmehr durch das OLG Düsseldorf entschieden bekommen. Unser Mandant erzielte Einkünfte oberhalb von 100.000 € brutto, er ist verheiratet und hatte zeitweise auch noch ein unterhaltspflichtiges Kind. Sein bereinigtes Einkommen nach allen unterhaltsrechtlich vorzunehmenden Zu- und Abrechnungen belief sich zuletzt auf einen Betrag von ca. 6200 €.
Bereits das Amtsgericht Rheinberg hatte mit Beschluss vom 04.04.2023 (9a F 76/22) die Leistungsfähigkeit des Mandanten verneint. Dabei hatte das Amtsgericht den Selbstbehalt fiktiv unter Zugrundelegung eines jährlichen Bruttoeinkommens von 100.000 € und den daraus resultierenden Nettoeinkünften ermittelt.
Das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 04.12.2023 – II-3 UF 78/23) hat die dagegen gerichtete Beschwerde des Sozialhilfeträgers nunmehr zurückgewiesen. Dabei hat das Oberlandesgericht offen gelassen, ob entsprechend der Vorgehensweise des Amtsgerichts der Selbstbehalt im jeweiligen Einzelfall konkret zu berechnen oder ob eine pauschale Berechnung, wie sie in der Literatur vorgeschlagen wird, angezeigt ist. Die wesentlichen Entscheidungsgründe lauten wie folgt:
Zutreffend ist das Amtsgericht dem Grunde nach davon ausgegangen, dass im Jahr 2020 nicht mehr mit dem Selbstbehalt entsprechend Anmerkung D I. zur Düsseldorfer Tabelle Stand: 01.01.2020 zu rechnen ist, da in dieser noch nicht das Angehörigenentlastungsgesetz vom 10.12.2019 berücksichtigt wurde. In den Folgetabellen ab dem 01.01.2021 ist zum angemessenen Selbstbehalt gegenüber Eltern ohne Benennung eines Festbetrages nur noch geregelt, dass bei dessen Bemessung Zweck und Rechtsgedanken des Angehörigenentlastungsgesetzes zu beachten sind. Wie dies im Einzelnen zu geschehen hat, ist, soweit ersichtlich, ober- und höchstgerichtlich noch nicht entschieden worden. Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen zwischen einer sozialrechtlichen und unterhaltsrechtlichen Bewertung, die sich daraus ergeben können, dass ein Anspruchsübergang auf den Sozialhilfeträger gemäß § 94 Abs. 1a SGB XII erst ab einem Jahresbruttoeinkommen von 100.000 als angemessen erachtet wird, wird in der Literatur einhellig die Auffassung vertreten, dass eine Anpassung des Selbstbehalts geboten ist ( Doering Striening/Hauß/Schürmann, FamRZ 2020, 137, 139; Viefhues, ZAP 2020, 345, 348; BeckOK BGB/Reinken, 67. Edition 01.08.2023, BGB § 1601 Rn. 27 Wendtland in: beck online, Großkommentar, Stand: 01.08.2023, BGB § 1610 Rn. 169.3; Pfuhlmann Riggert in: Praxishandbuch Familienrecht, 43. EL März 2023, Teil L Sozialleistungen und Unterhalt, Rn. 158f).
Zur Vermeidung dieser Widersprüche hat das Amtsgericht dem Grunde nach zutreffend darauf abgestellt, dass einem Unterhaltsschuldner, der über ein Jahresbruttoeinkommen von mehr als 100.000 verfügt, jedenfalls ein solches Nettoeinkommen verbleiben muss, das ein nicht in Anspruch genommener Angehöriger mit einem Bruttoeinkommen bis 100.000 erhält. Ob der Selbstbehalt im jeweiligen Einzelfall konkret zu berechnen ist, wie es das Amtsgericht im angefochtenen Beschluss gemacht hat, oder ob eine pauschale Berechnung angezeigt ist ( etwa den Vorschlag von Doering-Striening/Hauß/Schürmann, a.a.O., und Wendtland in: beck online, Großkommentar, a.a.O., einen Selbstbehalt von 5.000 bzw. 9.000 bei Zusammenleben mit einem Ehegatten als Familienselbstbehalt anzusetzen) muss im vorliegenden Verfahren nicht entschieden werden Entscheidend ist vorliegend, dass der Antragsgegner seiner Ehefrau gegenüber ( unterhaltspflichtig ist und daher entsprechend der früheren Rechtslage ein Familienselbstbehalt anzusetzen ist. Auch hier kann offenbleiben, ob der Anspruch der Ehefrau entsprechend der Berechnung im angefochtenen Beschluss konkret zu berechnen oder mit einem Pauschalbetrag unter Anwendung des Halbteilungsgrundsatzes unter Berücksichtigung der Vorteile des Zusammenlebens berücksichtigt wird. In diesem Fall wäre der Familienselbstbehalt mit jedenfalls 9.000 in Ansatz zu bringen.
Da bei dem zutreffend berechneten unterhaltsrelevanten Einkommen des Antragsgegners von 5.451,54 (bis zum 20.09.2020) bzw. 6.205,47 (ab dem 21.09.2020) nach allen vorgeschlagenen Lösungen eine Leistungsfähigkeit nicht festzustellen ist, kann die Berechnungsweise des Selbstbehalts dahinstehen. Der Senat neigt allerdings aus Vereinfachungsgründen zu einer pauschalierten Betrachtungsweise.
Das OLG Düsseldorf hat die Rechtsbeschwerde zum BGH zugelassen.